Die Nordelbische Kirche

Die Gründung: 1970 oder 1977?

Welches Jahr war eigentlich die Geburtsstunde der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche: 1977 oder 1970? Formal gesehen begann diese am 21. Mai 1970 aus fünf Landeskirchen mit dem sogenannten Nordelbien-Vertrag.

Die Vertragspartner waren:

die Ev.-Luth. Landeskirche Eutin
die Ev.-Luth. Landeskirche im Hamburgischen Staate
die Ev.-Luth. Landeskirche Hannovers (für Hamburg-Harburg)
die Ev.-Luth. Landeskirche in Lübeck
die Ev.-Luth. Landeskirche Schleswig-Holsteins

Vertraglich wurde geregelt, dass die teilnehmenden Landeskirchen als Körperschaften bis zum Inkrafttreten der Verfassung zum 1. Januar 1977 weiter existierten, obwohl die neue Körperschaft Nordelbische Kirche bereits ins Leben gerufen war. Faktisch begann das eigentliche Leben der Nordelbischen Kirche erst 1977, nachdem die bisherigen Körperschaften erloschen waren.

Geschichte und Hintergründe

Mit dem Nordelbien-Vertrag zogen zum ersten Mal Landeskirchen Konsequenzen aus einem Relikt aus der Zeit des Summ-Episkopats, der landesherrlichen Kirchenregierung.

In landesherrlicher Zeit war der territoriale Zuschnitt der Kirchen nach den Grenzen des Staats ausgerichtet. Doch wurde diese Grenzziehung zunehmend hinderlich. 

Besonders in Hamburg entstanden Schwierigkeiten, weil das Gebiet des Stadtstaates nicht mit dem der Hamburgischen Landeskirche übereinstimmte.

Historisch gesehen umfasst die Nordelbische Evangelisch-Lutherische Kirche die folgenden Territorien:

  • frühere preußische Provinz Schleswig-Holstein (einschließlich des Herzogtums Lauenburg)
  • freie Reichsstadt Lübeck
  • Landesteil Lübeck im Freistaat Oldenburg (ab 1937 Kreis Eutin) 
  • Freie und Hansestadt Hamburg in den Grenzen von 1937

Politische Neuordnung durch Nationalsozialisten

Am 26. Januar 1937 wurde vom nationalsozialistischen Staat das „Gesetz über Groß-Hamburg und andere Gebietsbereinigungen“ dekretiert.

Lübeck verlor seine jahrhundertealte staatliche Selbständigkeit und wurde zusammen mit dem Landesteil Lübeck im Freistaat Oldenburg (als Landkreis Eutin) in die Provinz Schleswig-Holstein eingegliedert.

Schleswig-Holstein verlor die Städte Altona und Wandsbek an Hamburg. Außerdem wurden die Städte Harburg und Wilhelmsburg (Provinz Hannover) der Stadt Hamburg einverleibt ebenso zahlreiche Gemeinden aus den Landkreisen Stormarn, Harburg, Pinneberg und Stade.

Die oben genannten Landeskirchen hatten diese einschneidenden territorialen Veränderungen nicht nachvollzogen. Dies führte bei der Stadt Hamburg dazu, dass sich ab 1937 drei Landeskirchen (Hannover, Hamburg, Schleswig-Holstein) auf ihrem Gebiet befanden; die Hamburgische Landeskirche nahm nur noch 40 Prozent des gesamten Stadtgebietes ein. Ebenso ging es der Provinz Schleswig-Holstein, die die Landeskirchen Eutin, Lübeck und Schleswig-Holstein umfasste.

Neukonzeption der Landeskirchen

Nach 1945 wurde die Notwendigkeit einer Neukonzeption für die vier genannten Landeskirchen nördlich der Elbe Kirchen immer dringlicher spürbar. Da eine reine kirchliche Nachholung des „Groß-Hamburg-Gesetzes“ von der Schleswig-Holsteinischen Landeskirche abgelehnt wurde, nahm langsam eine nordelbische Kirche unter Einbeziehung der Landeskirchen Hamburg, Lübeck und Eutin sowie des hannoverschen Kirchenkreises Harburg Gestalt an.

Beginn der Verhandlungen

1955 wurden die ersten konkreten Verhandlungen aufgenommen, die aber Ende der 1960er Jahre steckenzubleiben drohten. Dies lag zum großen Teil an den Sorgen der beteiligten Landeskirchen, die Eigenständigkeit aufzugeben und in einer größeren Kirche nicht akzeptable Strukturen zu erhalten. Erst 1967 wies eine Zusammenkunft der Kirchenleitungen und Synodalpräsidenten den Weg in eine gemeinsame Zukunft.

Auf dem Weg zur Vereinigung

Mit der Einrichtung der Intersynodalen Nordelbischen Kirchenkommission gelang es, die Grundlage für eine konstruktive Verfassungsarbeit zu legen. Diese Kommission legte einen Entwurf für einen Vertrag vor, der mit Richtlinien für die eigentliche Verfassungsarbeit ergänzt wurde. Der Entwurf wurde 1970 als Nordelbien-Vertrag Wirklichkeit.

Die Gründung der Nordelbischen Kirche

Konstituierende Sitzung der Synode in Rendsburg

Die Verfassunggebende Synode hatte gemäß § 5 des Nordelbien-Vertrags die Aufgabe, nach den von der Intersynodalen Nordelbi­schen Kirchenkommission formulierten Grund- und Leitsät­zen die Verfassung für die Nordelbische Kirche und das Einführungsgesetz auszuarbeiten und zu beschließen.

Die Synode trat schon am 19. September 1970 zu ihrer konstituierenden Sitzung in Rendsburg zusammen. Sie hielt am 12. Juni 1976 ihre 44. und letzte Sitzung ab, als Verfassung und Einführungs­gesetz in der dritten Lesung angenommen wurden.

Am 1. Januar 1977 sind Verfassung und Einführungsgesetz in Kraft getreten. Ein wesentliches Merkmal der Verfassung von 1977 war die starke Stellung der Kirchenkreise gegenüber der Nordelbischen Kirche, die auch im Gegensatz zu anderen Landeskirchen die Kirchensteuergläubiger darstellten.

Die 27 Kirchenkreise bildeten die ehemaligen Landeskirchen Hamburg, Eutin und Lübeck in ihren Grenzen ab; für die große ehemalige Landeskirche Schleswig-Holstein wurden ebenfalls kirchliche und landeshistorische Grenzen für die Kirchenkreisbildung ausschlaggebend.

Neugliederung des Kirchengebietes

Erst 2006 wurden diese Grenzen durch das Kirchengesetz über die Neugliederung des Kirchengebietes verändert, indem 27 Kirchenkreise zu 11 zusammengefasst wurden. Diese Grenzen wurden auch bei Gründung der Nordkirche beibehalten.

Eine weitere Besonderheit der nordelbischen Verfassung war die Konstruktion des Bischofsamtes. Wesentliches Merkmal war die Befristung der Ämter sowie das Bischofskollegium, das aus den bischöflichen Personen der Sprengel Hamburg, Lübeck und Schleswig-Holstein bestand. Alle drei Bischöfe bzw. Bischöfinnen waren gleichberechtigt, auf das Amt eines Landesbischofs wurde verzichtet.

Ein Reformversuch zugunsten einer differenzierten Struktur 1989 scheiterte. Erst 2007 wurde diese Diskussion wieder aufgenommen und in einer Verfassungsreform realisiert: Das Amt des Landesbischofs wurde geschaffen sowie zwei weitere Bischöfe im Sprengel.

Nordkirche als Nachfolgerin

Rechtsnachfolgerin der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche ist ab Pfingsten 2012 die Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland. Wesentliche Bestandteile der nordelbischen Verfassung wurden in die neue Verfassung eingeflochten, weil viele Strukturen der Nordelbischen Kirche sich als geeignet erwiesen hatten, Kirchen unterschiedlicher Struktur zu einer Kircheneinheit zusammenzuführen, ohne die jeweilige Tradition zu verletzen.

Annette Göhres unter Mitarbeit von Ulrich Stenzel

Literatur

Blaschke, Klaus
Das Verfassungsrecht der Nordelbischen Evange­lisch-Lutherischen Kirche
Verfassung der NEK, Einführungsgesetz zur Verfassung, Schleswig-Holsteinischer Staatskirchenvertrag, Grundge­setz für die Bundesrepublik Deutschland (Auszug) mit einer Einleitung und Hinweisen der zu beachtenden kirchengesetzlichen Regelungen von Klaus Blaschke. 4., völlig neu bearb. Auflage.
Kiel 1995

Göhres, Annette / Ulrich Stenzel / Peter Unruh (Hg.)
Bischöfinnen und Bischöfe in Nordelbien 1924–2008
Kiel 2008

Göldner, Horst
Fünf Jahre Nordelbische Evangelisch-Lutherische Kirche
In: 30 Jahre Staatskirchenvertrag, 10 Jahre Nordelbische Evangelisch-Lutherische Kirche. Eine Dokumentation. Hg. v. Klaus Blaschke und Hans-Joachim Ramm.
Neumünster 1992, 136–146

Lange, Hartmut
Die Nordelbische Evangelisch-Lutherische Kirche: Vorgeschichte und rechtliche Gliederungsprobleme 
Kiel Diss. jur. 1972

GVOBl
Kirchliches Gesetz- und Verordnungsblatt der Ev.-Luth. Landeskirche Schleswig-Holsteins
Kiel [bis] 1970; ab 1977: Kirchliches Gesetz- und Verordnungsblatt der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche. Kiel [ab] 1977

Kirchengeschichte der Territorien