Landeskirche Mecklenburg

Die lange Reformation in Mecklenburg

Im Unterschied zur Reformation in den meisten Nachbarterritorien, die durch das ordnende Wirken Johannes Bugenhagens (1485–1558) bestimmt war, verlief die Reformation in Mecklenburg lange ungeordnet, kleinteilig und regional höchst unterschiedlich.

Ursache dafür war die unklare Haltung der regierenden Fürsten: Während Herzog Heinrich V. der Friedfertige (1479–1552) früh mit Luther sympathisierte und in seinem Herrschaftsteil die Reformation immer offener betrieb, wandte sich sein Bruder Albrecht VII. der Schöne (1488–1547) nach einer kurzen unklaren Phase wieder dem alten Glauben zu und versuchte, ihn in seinem Herrschaftsteil sowie in den gemeinsamen Herrschaftsteilen zu erhalten.

Marienkirche Rostock, Ziffernblatt der astronomischen Uhr (1379) © epd-bild

 

Reformatorische Bewegungen im Herzogtum

1521 hatte Herzog Heinrich auf dem Reichstag zu Worms Martin Luther erlebt. 1523 reiste er nach Wittenberg, um ihn zu hören. Die Reichsacht gegen Luther wurde in Mecklenburg nicht veröffentlicht. Die Situation im Herzogtum gestaltete sich vielschichtig: In Schwerin wurde in der Stadt und am Hofe Heinrichs evangelisch gepredigt, während das Domkapitel noch aktiv die Heilig-Blut-Wallfahrt propagierte.

Auch in den größeren Landstädten traten früh reformatorische Prädikanten auf, erst recht in den weitgehend selbständigen und mächtigen Hansestädten Rostock und Wismar: 1523 wirkte Joachim Slüter (gest. 1532) in Rostock, wo 1531 die Einführung der Reformation erfolgte. Während die Überlieferung zur Rostocker Reformation nur ein undeutliches Bild zeichnet, bietet Wismar ein regelrecht buntes Bild reformatorischer Bewegungen.

Insbesondere die zunehmend zwinglianisch anmutende Lehre des Franziskaners Heinrich Never (gest. 1553) fand regen Zulauf und übte großen Einfluss aus.

Offiziell wurde die Reformation auch in Wismar erst 1531 eingeführt. Der in der Stadt populäre Never blieb weitgehend unbehelligt, da der Rat Unruhe vermeiden wollte.

St. Bartholomäus (Mitte 13. Jhdt.), Recknitz © Thomas Helms

Konfessionalisierung

Im Teilungsvertrag von 1621 bestanden die Stände darauf, dass das Land nur einer Konfession anhängen dürfe, nämlich der Unveränderten Augsburgischen Konfession, und schoben damit calvinistischen Bestrebungen Herzog Johann Albrechts II. (1590–1636) einen Riegel vor.

Während der kurzen Herrschaft Albrecht Wallensteins (1583–1634) konnten die Stände ihre Konfession behalten. Am Ende des Dreißigjährigen Krieges waren in Mecklenburg Reste des römischen Glaubens nicht mehr vorhanden.

Erst die Konversion von Herzog Christian Louis (1623–1692) im Jahr 1663 führte wieder zur Zuwanderung katholischer Geistlicher und zur Entstehung katholischer Gemeinden. 1708 kam es zur Gründung einer Niederlassung der Jesuiten in Schwerin. Um 1700 wurden französisch-reformierten Glaubensflüchtlinge angesiedelt, und in Bützow entstand eine reformierte Gemeinde.

Zwischen Pietismus und Rationalismus

In Folge des Machtverlustes und der Verheerungen im Dreißigjährigen Krieg geriet die Entwicklung Mecklenburgs für über zwei Jahrhunderte ins Stocken. Dennoch verbreitete sich von der Universität Rostock aus der Geist pietistischer Erneuerung, welcher unter dem frommen Herzog Friedrich (1717–1785) 1760 zur Gründung einer Gegenuniversität in Bützow führte.

Mit dem Regierungsantritt des religiös indifferenten Friedrich Franz I. (1756–1837) kehrten sich die Verhältnisse um.

Aufklärung, Rationalismus und eine konfessionelle Liberalisierung dominierten jetzt die Landeskirche. Die Universität Bützow wurde geschlossen. 1811 wurde die katholische Konfession der evangelischen gleichgestellt, und 1813 erhielten die Juden bürgerliche Rechte.

Teilweise im Konflikt mit dem Rationalismus, teilweise im Zusammenwirken (Gründung der ersten Bibelgesellschaften 1816) stand die Erweckungsbewegung, die in Mecklenburg vielerorts Platz griff, nicht zuletzt in Teilen der Herzogsfamilie.

Erneuerung im Geiste strengen Neuluthertums

Die Revolution von 1848 wurde auch in der Kirche von vielen begrüßt. Eine neue Verfassung scheiterte jedoch am Widerstand der Stände. Die mecklenburgische Kirche wurde in dieser Zeit durch den ehemaligen Erzieher des frommen Großherzogs Friedrich Franz II. (1823–1883) Theodor Kliefoth (1810–1895) geprägt. Er nutzte die Revolution, um der Kirche stärkere Eigenständigkeit zu verschaffen.

Am 1. Januar 1850 nahm der Oberkirchenrat als ständige Behörde die Arbeit auf. Er erhielt die Kirchengewalt und die Kirchenverwaltung übertragen, während die Landesregierung künftig nur noch die kirchlichen Hoheitsrechte eines Oberbischofs ausübte.

Ein erster Schritt zur Trennung von Staat und Kirche war vollzogen. Die Einberufung einer Synode verzögerte Kliefoth so lange, bis sie der Reaktion zum Opfer fiel. Sein straff geführtes Erneuerungswerk stand im Geist eines streng konfessionellen und autoritären, auf Zentralisierung, Vereinheitlichung und Geschlossenheit bedachten Neuluthertums. Am Ende seiner langen Amtszeit war in Mecklenburg kaum noch ein liberaler Theologe zu finden.

Von der Republikferne zur Staatsnähe

Zur Einführung einer synodaler Verfassung in den Landeskirchen Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz kam es erst infolge der Revolution von 1918. Beide Landessynoden wählten Landesbischöfe.

Das Verhältnis der Landeskirchen zu Demokratie und Weimarer Republik blieb distanziert. Dies lag vor allem an ihrer gesellschaftlichen Verankerung in den mittelständischen und bäuerlichen Volksschichten, deren politische Erfahrungen und autoritären Vorstellungen von Staat und Kultur sie weitgehend teilten.

Die Trennung von Staat und Kirche, die Bedrohung der Finanzgrundlagen der Kirchen durch die sozialdemokratische Kirchenpolitik, die Abschaffung der christlichen Volksschule sowie ein allgemeiner Verlust christlich-konservativer Werte bedrohten in ihren Augen die unverzichtbaren Grundlagen für Familie, Gesellschaft und Staat. Rückhalt fanden die Kirchen vor allem bei den national-konservativen Parteien der bürgerlichen Rechten.

Machtübernahme durch Deutsche Christen

Seit 1932 sympathisierten weite Teile der mecklenburgischen Landeskirchen zudem mit der aufstrebenden NS-Bewegung. Im Bündnis mit ihr erhoffte man, im neuen Staat die christliche Volkskirche wieder fest verankern zu können. 

Aufgrund eines rechtlich fragwürdigen Wahlverfahrens stellten seit September 1933 auch in Mecklenburg-Schwerin die dem Nationalsozialismus nahestehenden Deutschen Christen die Mehrheit in der Landessynode. Die Synode entmachtete sowohl Landesbischof Heinrich Rendtorff (1888–1960) als auch sich selbst.

Die Synode schuf in einer Art Ermächtigungsgesetz (Landeskirchenführergesetz) das Amt eines Landeskirchenführers, dem sowohl die Befugnisse der Landessynode als auch die des Landesbischofs übertragen wurden.

Zum Landeskirchenführer wählte die Synode den Führer des NS-Pastorenbundes Walther Schultz (1900–1957). Im Gegenzug bildete der mecklenburgische Pfarrernotbund oder Landesbruderrrat der Bekennenden Kirche, dessen Vorsitz die Pastoren Niklot Beste (1901–1987) und Johannes Schwartzkopff (1889–1968) übernahmen.

Zu Jahresbeginn 1934 gelang den Deutschen Christen die vollständige Machtübernahme.

Der bereits entmachtete Landesbischof legte sein Amt nieder, Oberkirchenrat und Landessuperintendenten wurden gleichgeschaltet.

Gleichzeitig schlossen sich die beiden mecklenburgischen Landeskirchen parallel zur staatlichen Vereinigung zu einer Landeskirche mit Sitz in Schwerin zusammen.

Kirche auf dem Großen Dreesch (1985) © Thomas Helms

Neuanfang nach 1945

Nach Kriegsende übernahm die Bekennende Kirche unter Niklot Beste die vorläufige Kirchenleitung. 1946 wurde Beste zum Landesbischof gewählt.

Tiefgreifende Veränderungen stellten die Kirche vor neue Herausforderungen (Wiederaufbau, die Integration von Flüchtlingen, Einnahmeverluste in Folge der Bodenreform und entfallender Patronatsleistungen, wirtschaftliche Not und sozialer Wandel, Ausgrenzung aus der Volksbildung etc.), auf die es Antworten zu finden galt: Notkirchen wurden errichtet, Pastoren und Kirchgemeinden gründeten Kinderheime, ein außerschulischer Unterricht, die Christenlehre, wurde aufgebaut, ein Katechetisches Seminar entstand, Jugendarbeit und Studentengemeinde erlebten einen Aufschwung.

Kirche als Fremdkörper im Staat

1949 begann die Dorfmission, deren Idee mecklenburgische Pastoren aus ihrer Kriegsgefangenschaft in Schottland mitbrachten. Wurde die Kirche zur Bewältigung der Nachkriegsprobleme noch gebraucht, bildete sie im totalitären System der DDR einen von Staat und Partei als feindlich angesehenen Fremdkörper.

Gleichwohl gab es neben „Zeiten unerbittlicher Konflikte auf Kosten von Menschen“ wie z.B. im Kampf gegen die Junge Gemeinde 1952/53, im Kampf um die Jugendweihe, in den Boykotthetzeprozessen sowie dem Verfassungskonflikt 1957/58 auch „Abschnitte von partiellem Zusammenspiel“ (Martin Onnasch, in: Leben in der DDR, 35f). Kooperationsfelder etwa waren Kirchenbau und Denkmalpflege sowie der Bereich diakonischer Tätigkeit, nachdem die Kirche seit Ende der 50er Jahre vollständig aus der Jugenderziehung verdrängt war.

Kirchliche Abgrenzung gegenüber dem Staat

Mit der Wahl Heinrich Rathkes (geb. 1928) zum Landesbischof begann eine Phase deutlicher Abgrenzung zum Staat und seinen Einfluss- und Unterwanderungsversuchen. Diese Politik wurde unter seinem Nachfolger Christoph Stier (geb. 1941) konsequent fortgesetzt, mit dem Erfolg, dass die Landeskirche in vergleichsweise geringerem Umfang von der Staatssicherheit unterwandert und zersetzt war. Mit seinem Eisenacher Vortrag „Kirche für andere“ setzte Rathke 1971 weit über Mecklenburg hinaus Impulse.

An der Wende hatten auch in Mecklenburg die Kirchen erheblichen Anteil. Fast überall fanden im Herbst 1989 besondere Gottesdienste statt. Das Verhältnis der Kirchen zum Land Mecklenburg-Vorpommern wurde 1994 im Güstrower Vertrag geregelt. Anfang 2012 hatte die Landeskirche Mecklenburgs ca. 193.000 Glieder mit 270 Kirchengemeinden in vier Kirchenkreisen.

Johann Peter Wurm

Literatur

Beste, Niklot
Der Kirchenkampf in Mecklenburg von 1933 bis 1945
Geschichte, Dokumente, Erinnerungen.
Berlin/Ost 1975

Bunners, Michael  und Piersig, Erhard (Hg.)
Jahrbuch für Mecklenburgische Kirchengeschichte
Mecklenburgia Sacra, Bde 1–17.
Hg. im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft für Mecklenburgische Kirchengeschichte
Wismar 1998–2015

Frank, Rahel
„Realer – exakter – präziser“?
Die DDR-Kirchenpolitik gegenüber der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs von 1971–1989.
Schwerin 2. überarb. Aufl. 2008

Haendler, Gert
Mecklenburg
In: Theologische Realenzyklopädie 22, 1992, 310–318

Landtag Mecklenburg-Vorpommern (Hg.)
Leben in der DDR, Leben nach 1989. Aufarbeitung und Versöhnung
Zur Arbeit der Enquete-Kommission „Leben in der DDR, Leben nach 1989. Aufarbeitung und Versöhnung“,
Bd. 7: Expertisen und Forschungsstudien zum Thema „Kirche und Staat“.
Schwerin 1997

Rathke, Heinrich
„Wohin sollen wir gehen?“
Der Weg der Evangelischen Kirche in Mecklenburg im 20. Jahrhundert. Erinnerungen eines Pastors und Bischofs und die Kämpfe mit dem Staat.
Kiel 2014

Schmaltz, Karl
Kirchengeschichte Mecklenburgs
3 Bde.
Schwerin 1935/36, Berlin/Ost 1952

Schrader, Franz
Mecklenburg
In: Anton Schindling / Walter Ziegler (Hg.)
Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land unds Konfession 1500 – 1600, Bd. 2.
Münster 3. Aufl. 1993,166–180

Seidel, J. Jürgen
Aus den Trümmern 1945
Personeller Wiederaufbau und Entnazifizierung in der evangelischen Kirche der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. Einführung und Dokumente.
Göttingen 1996

Wolgast, Eike
Die Reformation in Mecklenburg 
Rostock 1995