Die Entstehung der Nordkirche

Die Ausgangslage

Im Februar 2007 beschloss die Kirchenleitung der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche (NEK), der benachbarten Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs (ELLM) und der Pommerschen Evangelischen Kirche (PEK) Sondierungsgespräche anzubieten.

Diese sollten die Frage klären, ob Verhandlungen mit dem Ziel der Fusion dieser drei norddeutschen Landeskirchen aufgenommen werden sollten. Die Entscheidung löste Überraschung und Aufmerksamkeit aus. Für Kenner der kirchlichen Situation hatte sie jedoch eine hohe Plausibilität.

Die Situation 2007

  1. Zwischen der NEK und der PEK bestand über die Jahrzehnte der deutschen Teilung eine Partnerschaft, die auch von vielen Gemeinden getragen wurde; zudem hatten die drei Kirchen im Jahr 2000 einen Vertrag zur Verwaltungskooperation abgeschlossen, der u.a. regelmäßige Konsultationen der drei Kirchenleitungen einschloss.
  2. Im Jahr 2006 war der über fünf Jahre betriebene Versuch der ELLM und der PEK gescheitert, über eine Fusion zur Bildung einer evangelischen Landeskirche auf dem Gebiet des Landes Mecklenburg-Vorpommern zu kommen.
  3. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hatte der PEK nach einem Beratungsprozess empfohlen, sich einer größeren Landeskirche anzuschließen.

Kurzes Zeitfenster für Verhandlungen 

Da die PEK durch ihre Zugehörigkeit zur Union Evangelischer Kirchen (UEK) und aufgrund der regionalen Nähe traditionell enge Beziehungen zur Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz (EKBO) pflegte, hatte diese der PEK einen Anschluss unter Bildung einer pommerschen Generalsuperintendentur angeboten.

Diese Option fand unter vielen Mitgliedern der Landessynode der PEK Zustimmung.

Vor diesem Hintergrund hatte der pommersche Bischof Dr. Hans-Jürgen Abromeit im Dezember 2006 einen Brief an die Kirchenleitung der NEK geschrieben, in dem er auf „ein schmales Zeitfenster“ hinwies, das für die Auslotung der Bildung einer „Nordkirche“ nur noch eine kurze Zeit offenstehen würde.

In den Monaten des Frühjahrs 2007 stimmten die Kirchenleitungen der ELLM und der PEK der Aufnahme von Sondierungsgesprächen zu; im Herbst desselben Jahres erklärten die drei Synoden je für sich ihr Einverständnis.

Fusionsverhandlungen

Im November 2007 konnten den Synoden die Ergebnisse der Sondierungsgespräche mit der Folge vorgelegt werden, dass diese der Eröffnung förmlicher Fusionsverhandlungen zustimmten. Diese wurden unter der Bedingung der paritätischen Besetzung aller Arbeitsgruppen (Verfassung, Theologie, Finanzen, Recht, Diakonie, Ökumene, Verwaltung und Öffentlichkeitsarbeit) und der Leitung einer zwölfköpfigen Steuerungsgruppe so konzentriert geführt, dass den Synoden im Frühjahr 2009 ein Fusionsvertrag zur Beschlussfassung vorgelegt werden konnte.

Der Vertrag sah u.a. die Bildung eines Verbands der Ev.-Luth. Kirchen in Norddeutschland vor. Dessen Organe (die Gemeinsame Kirchenleitung und die Verfassunggebende Synode) sollten dann eine Verfassung für die Ev.-Luth. Kirche in Norddeutschland erarbeiten und den Entwurf zum Reformationstag 2010 vorlegen.

Am 5. Februar 2009 wurde dieses Vertragswerk von den drei Synoden zeitgleich mit verfassungsändernder Mehrheit angenommen.

Beratung der Verfassungsentwürfe

Um die umfängliche Arbeit der diversen Arbeitsgruppen, der Leitungsorgane der drei Kirchen und des Verbandes professionell zu unterstützen, war schon im Frühjahr 2008 die „Arbeitsstelle Nordkirche“ eingerichtet worden.

Das Team von sechs engagierten Personen koordinierte die Verhandlungen so, dass die Terminvorgabe eingehalten wurde: Die Verfassunggebende Synode trat Ende Oktober 2010 zusammen, um den ersten Verfassungsentwurf zu diskutieren.

Beschlossen wurde, die Vielzahl von Änderungsvorschlägen über das Jahr 2011 hinweg zu diskutieren und einzuarbeiten. Im Oktober 2011 konnte die Verfassunggebende Synode unter Erfüllung dieser Vorgabe den zweiten Verfassungsentwurf beraten und nun einem „federführenden“ Synodenausschuss zur Letztberatung zuleiten.

Dieser führte unter Beachtung der Gutachten der EKD, der VELKD (Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands) und der UEK letzte Beratungen durch und legte der Verfassunggebenden Synode zu ihrer dritten Tagung in der ersten Januarwoche 2012 die Letztfassung des Entwurfs vor.

Als problematisch – aber letztlich doch zur Zufriedenheit aller lösbar – erwies sich im letzten Moment die Frage der Überleitung der Bischöfin und der Bischöfe in die neuen nordkirchlichen Ämter.

Eine neue Kirche

Der Verfassungsentwurf selbst wurde mit deutlicher Mehrheit am 8. Januar 2012 verabschiedet und Pfingsten 2012 im Rahmen eines Festgottesdienstes und -tages in Kraft gesetzt.

Die Intensität und Konstruktivität des Fusionsprozesses erklären sich dadurch, dass unter den Verantwortlichen von Anfang an ein Geist der Partnerschaft und des Willens herrschte, eine neue, gemeinsame Kirche zu bilden, in der östliche und westliche Erfahrungen und Strukturen zum Wohle aller zusammenkommen und -wachsen können. Dieser Prozess hatte durchaus auch eine geistliche Dimension.

Es darf aber nicht übersehen werden, dass das bis dahin stark rückläufige Kirchensteueraufkommen ab 2008 wieder angestiegen war; dies hat die finanziellen Lasten der Fusion für die Kirchenkreise der ehemaligen NEK abgemildert.

Außerdem boten sowohl der vorausgegangene Fusionsprozess der Bildung der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland als auch die Begleitung der anderen Gliedkirchen der EKD Ermutigung und Orientierung; letztere signalisierten nicht nur Sympathie für die Bildung einer west-östlichen Landeskirche, sondern zeigten durch die Fortsetzung der Gewährung der Finanzausgleichszahlungen an die Nordkirche in der Höhe, wie sie bisher an die ELKM und die PEK gewährt worden waren, materielle Solidarität.

Mehr erfahren Sie hier: www.nordkirche.de

Michael Ahme

Literatur

Ahme, Michael u.a. (Hg.)
Gemeinsam auf dem Weg
Beiträge zur Entstehungsgeschichte der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland.
Kiel 2016

Dittmers, Sebastian
Entstehung der Nordkirche 
Kiel 2015

Unruh, Peter
Kirchenbildung und Verfassunggebung in Norddeutschland 
Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht 57, 2012, 121–145

Wartenberg-Potter, Bärbel
Anfängerin. Zeitgeschichten meines Lebens
Gütersloh 2013, 260–283